Extreme Lebensräume & Klimawandel

Die Leistungsfähigkeit und Anpassungen erforschen wir an Algen und Cyanobakterien der Arktis, der tropischen Mangroven, des Windwatts und aus Biofilmen, die zahlreiche Substrate überziehen.

Arktis - Leben in Eis und Schnee

In der Arktis lebende Algen haben sich an ein Leben bei ganzjährig tiefen Temperaturen angepasst. Zusätzlich beeinflusst sie der jahreszeitliche Wechsel der Lichtbedingungen: Während im Winter für mehrere Monate Dauerdunkel (Polarnacht) herrscht, scheint im Sommer 24 Stunden am Tag die Sonne (Polartag). Dieser ständige Wechsel der Umweltbedingungen beeinflusst die Primärproduktion und sicherlich noch weitere Lebensleistungen.

Viele grundsätzliche Fragen zur Ökologie und Physiologie von Mikroalgen der Polarmeere sind noch ungeklärt. Gerade biologische Systeme der Arktis werden aufgrund ihrer Anpassung an Extrembedingungen besonders empfindlich auf den Klimawandel reagieren, der sich auch in Form von Temperaturerhöhung und Ozon-Ausdünnung auswirkt. Untersuchungen in den hohen Breiten sind daher von immenser Bedeutung für die Grundlagenforschung.

Kurz nach Mitternacht erreichen die ersten Sonnenstrahlen schon wieder die Berge am Horizont der sommerlichen Arktis. Foto: Ulf Karsten.
Ein Eisberg ist von einem Gletscher im Kongsfjord abgebrochen und treibt in den Nordatlantik. Foto: Ulf Karsten.

Mangroven - Leben zwischen Mangel und Überfluss

In den Tropen und Subtropen wachsen an den meisten Flussmündungen ausgedehnte Mangrovenwälder mit phylogenetisch diversen Bäumen und Büschen. Die Flut presst hier zweimal täglich Meerwasser in die Mangroven der Ästuare, womit der Salzgehalt steigt. Fällt der Wasserspiegel während der Ebbe wieder, werden die Organismen dieses Ökosystems von Süßwasser umspült. Mangrovengürtel stellen daher sowohl einen Übergangsbereich zwischen Süß- und Salzwasser, als auch zwischen Land und Meer dar.

Die Wälder der Gezeitenzone beherbergen eine einzigartige Rotalgenflora, die als Epiphyten die Luftwurzeln der Mangroven besiedeln. Der steigende und ebbende Wasserspiegel verlangt spezielle Anpassungsstrategien dieser epiphytischen Rotalgen an sich ständig wechselnde Salzkonzentrationen und Trockenheit.  

Die ökologische Bedeutung der Mangrovenwälder liegt in einer hohen Primärproduktion, als Kohlenstoff- und Nährstoff-Exporteur für angrenzende Seegraswiesen oder Korallenriffe, sowie als Brutplatz, Kinderstube und Schutzgebiet für viele Meerestiere.

Nach nur wenigen Stunden wird die Flut erneut Wasser auf die trockengefallenen Sandbänke und Mangrovenwurzeln spülen. Port Douglas, Australien. Foto: Ulf Karsten.
Die Luftwurzeln der Mangrovenpflanzen sind Lebensraum aufsitzender Rotalgen, wie hier auf den Stelzwurzeln der Roten Mangrove (Rhizophora mangle), bei Cape Tribulation, Australien. Foto: Ulf Karsten.

Windwatt - Leben im Millimeterdschungel

Flachwasserzonen sind typisch für die südliche Ostsee. Als Windwatt bezeichnete Ökosysteme bestehen aus großen, meist freiliegenden Sandflächen, die überflutet werden, wenn starker Wind aus Nord bis Nordost Meerwasser auf den Sand drückt. Auf dem kargen Sediment breiten sich Mikroorganismen mattenartig aus, die sowohl an ein Leben im Meer als auch an Land angepasst sind. Sie müssen Mechanismen ausbilden, die sie auf unbestimmte Zeit in der einen oder der anderen Form überleben lässt.

In den Mikrobenmatten des Windwatts lebt eine Gesellschaft verschiedener Gruppen von Bakterien und anderen Mikroorganismen in einer Art "mikroskopischem Dschungel", der sich flach, meist im Millimeterbereich ausbreitet. Sie bilden ein zusammenhängendes, geschichtetes System auf aquatischen Sedimenten.

Die Mikroorganismen - meist Cyanobakterien - durchwuchern die Sedimente als einzellige oder fädige Formen und scheiden häufig festigende, "klebrige" Substanzen aus. Durch ihre Stoffwechselaktivitäten beeinflussen und verändern die Organismen also nachhaltig die Oberfläche und stabilisieren sie. Die ökologische Bedeutung der Mikrobenmatten liegt nicht nur in der Verfestigung der Küstensedimente, sondern auch in einer hohen Primärproduktion auf kargen Standorten.

In der Windwattfläche vor Zingst sind dunkle Mirkobenmatten. Die Mikrobenmatte des Windwatts "Großer Werder" in der Ostsee bedeckte 2005 eine Fläche von etwa 40.000 Quadratmeter. Foto: Ulf Karsten.
Die einzelnen Farben im Querschnitt einer Mikrobenmatte entsprechen verschiedenen Mikroorganismen: Es ist eine Schichtung von Kieselalgen, Cyanobakterien, farblosen Schwefelbakterien, Schwefelpurpurbakterien und Sulfat-reduzierenden Bakterien (von oben nach unten). Foto: Ulf Karsten.
Mikroskopische Aufnahme des Cyanobakteriums Coleofasciculus chthonoplastes. Der fädige Organismus durchwuchert die Sedimente und scheidet "klebrige" Substanzen aus, die das Sediment stabilisieren. Aufnahme: Ulf Karsten.

Oberflächen - Leben in der "grünen Haut"

Grüne Mikroalgen besiedeln Hausfassaden, Dächer, Böden und Bäume. Sie trotzen widrigen Umweltbedingungen und schützen sich gegen Austrocknung und Sonneneinstrahlung mit einem Biofilm. Sie haben sich damit eine Umgebung erobert, die sich grundlegend von der Homöostase des aquatischen Lebensraumes unterscheidet. Die als „aeroterrestrisch“ bezeichneten Mikroalgen leben an der Kontaktzone zwischen Substrat und Luft und sind Extremen ausgesetzt: Ihre Umweltbedingungen können sich schnell und radikal ändern. 

Die Veralgung von Gebäudeoberflächen hat viele Gründe. Neben der Ausrichtung von Gebäuden, Baumängeln und der Verwendung ungeeigneter Materialien, stellt die Verfügbarkeit von Wasser einen ökologischen Schlüsselfaktor dar. Der Klimawandel begünstigt dieses Wachstum, da er weniger Frosttage und höhere Niederschlagsmengen in den Hauptwachstumsperioden Frühjahr und Herbst mit sich bringt. Fundierte Kenntnisse über die Eigenschaften aeroterrestrischer Mikroalgen erlauben eine Entwicklung gezielter Vermeidungs- und Bekämpfungsstrategien sowie die biotechnologische Nutzung dieser bislang kaum verwendeten Organismengruppe.

Neben anthropogenen Oberflächen besiedeln viele aeroterrestrische grüne Mikroalgen biologische Bodenkrusten arider, semi-arider und alpiner Lebensräume. Sie wachsen als Pioniere in den obersten Millimetern. In enger Assoziation mit den Bodenpartikeln üben sie dabei wichtige ökologische Funktionen aus und beeinflussen Primärproduktion, Wasserretention und Bodenstabilisierung. Insbesondere Trockenstress und Toleranzstrategien sind bisher kaum untersucht worden.

Eine Haut aus Algen breitet sich auf einem Schild aus. Foto Ulf Karsten.
Algen besiedeln als Pionierpflanzen alpine Böden und verkrusten die Oberflächen, wie hier in einem Fichtenwald bei Innsbruck. Foto: Ulf Karsten.